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Hitze, Dürre und der Braunkohleausstieg: Aufgerüstete Kläranlagen sichern die Wasserversorgung

Nicht nur wegen höherer Temperaturen und zunehmenden Dürreperioden droht künftig Wassermangel in Berlin, sondern auch durch den Kohleausstieg in der Lausitz. Warum das so ist und welche Lösungsansätze die Wasserbetriebe haben, erklärt Jens Burgschweiger aus dem Bereich Wasserversorgung.

Herr Burgschweiger, wie groß ist unsere Freude über den eher nassen Sommer in Berlin?

Sehr groß. Bis zum April waren wir gut im Soll, da hatten wir wirklich mehr Regen als im Durchschnitt der letzten zehn Jahre. Aber danach kam ab 7. Mai erst einmal kein Regen mehr bis Mitte Juni. An meiner Messtelle in Zeuthen habe ich für den ganzen Monat Mai nur 10,5 mm gemessen. Ein Minusrekord für die letzten zehn Jahre. Ab Mitte Juni kam aber wieder reichlich Regen und in allen drei Sommermonaten regnete es überdurchschnittlich viel. Jetzt sind wir von der Jahresmenge her wieder über dem zehnjährigen Durchschnitt. Aber die Trockenphase im Mai hat natürlich den Boden ziemlich ausgedörrt. Jetzt wurde es Zeit für die Natur, dass wieder ein bisschen mehr Regen kam, und dass dadurch auch der Wasserbedarf zurückgegangen ist.

Welcher Regen ist eigentlich wichtiger: Der direkt bei uns in Berlin oder der in der Lausitz bzw. Sachsen im Einzugsgebiet der Spree fällt?

Das führt genau auf die richtige Fragestellung hin: Woraus fördern wir eigentlich unser Wasser? Grundsätzlich schöpfen wir es aus dem Grundwasser. Dieses wird gespeist aus drei verschiedenen Prozessen. Einmal ist es die natürliche Grundwasserneubildung aus dem Regen hier im Einzugsgebiet, also in Berlin und auch ausstrahlend nach Brandenburg. Das ist aber der kleinere Teil: Von der ganzen Menge her sind es circa 30 Prozent. Das schwankt ein bisschen nach Jahr und Jahreszeit. Der größere Teil, aus dem sich das Grundwasser speist, ist das Uferfiltrat. Also das Wasser, das aus den Oberflächengewässern kommt, aus der Spree und der Havel oder der Dahme. Das sind etwa 60 Prozent. Und dann sind noch 10 Prozent, die wir selbst steuern, indem wir es zum Beispiel der Havel entnehmen und in den Wasserwerken über Grundwasseranreicherungsanlagen wieder anreichern. Der größte Teil des Wassers kommt insgesamt also von weiter her, aus Sachsen, aus Brandenburg oder aus Mecklenburg-Vorpommern.

Das heißt also, der Kohleausstieg hat auch für uns sehr konkrete Folgen.

Ja, das hat er. Zuerst muss man natürlich sagen, die Grundwasserförderung hat immer einen Vorteil, weil wir einen riesigen Grundwasserspeicher haben, der sich bis nach Brandenburg hinaus erstreckt. Der ist größer, als wenn man Wasser direkt aus dem Oberflächenwasser fördern würde. Mit dem Grundwasserleiter können wir Trockenphasen gut abpuffern. Aber der muss irgendwie auch gefüllt werden. Deshalb hat der Ausstieg aus der Braunkohle für uns extreme Folgen, genau wie der Einstieg damals in Richtung der Wasserqualität. Für den Braunkohlebergbau wird großflächig Wasser abgepumpt, um die Kohlenflöze trocken zu legen, die bis zu 100 Meter tief sind. Dadurch wurde ein riesen Absenktrichter geschaffen, der aktuell auf circa sieben Milliarden Kubikmeter Wasser geschätzt wird.

Dieses große Loch muss wieder aufgefüllt werden über die nächsten Jahrzehnte.

Genau, und durch das Abpumpen hat man mehr Wasser aus dem Einzugsgebiet der Spree entnommen, als normalerweise aus der normalen Neubildung des Grundwassers und des Oberflächenwassers entstanden wäre. Damit hat man ein Defizit geschaffen. Deswegen wurden über die letzten Jahrzehnte ungefähr sieben Kubikmeter pro Sekunde der Spree im Durchschnitt noch hinzugefügt. Diese werden beim Ausstieg dann fehlen.

Das Bergbauunternehmen LEAG sagt, dass im Sommer bis zu 75 Prozent der Wassermenge in der Spree aus der Tagebau-Förderung stammt und perspektivisch fehlen würde.

Da müssen wir ein bisschen aufpassen: Die LEAG bezieht sich dabei meistens auf die Spree-Pegel in Cottbus oder Spremberg. Da ist der Anteil natürlich noch viel größer. In Richtung Berlin gibt es aber noch ein größeres Einzugsgebiet, was auch noch Wasser in die Spree zuführt. Der Mengenanteil aus der Tagebau-Förderung wird also geringer, je näher wir Berlin kommen. Im Durchschnitt der letzten Jahre waren es sieben Kubikmeter pro Sekunde, vielleicht mal acht. Aber in Berlin strömt die Spree mit durchschnittlich 38 Kubikmeter pro Sekunde in die Havel.

Der Anteil insgesamt ist also kleiner.

Ja, und zudem auch noch abhängig von der Jahreszeit. Im Sommer ist der Anteil noch recht hoch gewesen, weil weniger Wasser abfließt und immer noch kontinuierlich Wasser gefördert wird in den Braunkohle-Tagebauen. Bei der Erstellung des Masterplans Wasser gemeinsam mit der Senatsverwaltung haben wir berechnet, wie sich die Rückgänge im Oberflächenwasserabfluss von der Spree, oberen Havel, aber auch von der Dahme auswirken. Dafür haben wir Szenarien durchgerechnet mit Rückgängen um minus 25, minus 50, und sogar minus 75 Prozent gegenüber dem Trockenjahr 2019, das ein extremes Trockenjahr war. In diesem Jahr und in den Szenarien haben wir gesehen, dass der Wasserstand in der Spree immer gehalten werden kann. Ein Problem haben wir mit der oberen Havel, weil dort in Trockenzeiten schon jetzt weniger Wasser zufließt aus dem Oberlauf und dem Klärwerk Schönerlinde, als durch die Wasserwerke Stolpe, Spandau und Tegel entnommen wird. Der Wasserstand in der oberen Havel wird in Trockenphasen abfallen, was zwar nicht unmittelbar sofort Auswirkungen auf unsere Wasserwerke und den Grundwasserstand hat, aber auf die Schiffffahrt, weil dann irgendwann die Schiffe nicht mehr fahren können. Insbesondere weil die Schleusen plötzlich nicht mehr funktionieren würden, wenn der Oberlauf niedriger wäre als der Unterlauf.

Wie können wir darauf reagieren?

Eine Maßnahme ist zum Beispiel, dass man Wasser wieder den Berg hochpumpt, also zum Beispielan der Schleuse Spandau ein Pumpwerk baut, das Wasser vom Unterlauf wieder in den Oberlauf schafft. Für Notsituationen, wenn wir in einer Trockenphase sind. Im Planfeststellungsverfahren für den Neubau der Schleuse Spandau war das eigentlich auch vorgesehen.  Ein anderer Extremfall wäre, dass man die obere Havel auf den Wasserstand der Spree an der Schleuse Plötzensee bringen würde, dass sozusagen ein großes Becken entstünde. Dann wäre zwar die Ladetiefe geringer, aber man hätte dann immer die Schleuse offen.

Diese geringen Abflüsse haben also eher einen Einfluss auf die Schifffahrt, was wir mit berücksichtigen wollen in unserem wasserwirtschaftlichen System in Berlin. Aber sie haben natürlich noch einen anderen Einfluss: Der Anteil des gereinigten Abwassers in den Oberflächengewässern wie zum Beispiel der Havel wird immer größer.

Das heißt also, es hat Auswirkungen auf die Wasserqualität.

Genau. 60 Prozent des Grundwassers kommen aus dem Uferfiltrat und zehn Prozent aus der Grundwasseranreicherung, also insgesamt 70 aus den Oberflächengewässern. Dieser große Anteil hat natürlich auch einen Einfluss auf die Qualität. Beim Prozess der Uferfiltration oder der Grundwasseranreicherung können nicht alle Spurenstoffe entfernt werden, es gibt Stoffe, die mehr oder weniger durch die Schichten durchströmen. Dazu gehören zum Beispiel Arzneimittel, die Probleme machen können. Deshalb ist die wichtigste Maßnahme, um die Wasserversorgung sicherzustellen, die Kläranlagen weiter aufzurüsten, insbesondere die Spurenstoffentfernung.

Inzwischen gibt es mehrere Arbeitskreise und Gruppen, in denen sich die Beteiligten in Brandenburg oder Sachsen gemeinsam austauschen. Sitzen wir da auch mit am Tisch?

Nur indirekt, an erster Stelle sitzt die Senatsverwaltung in diesen Runden und vertritt die Interessen Berlins bei dem einen oder anderen Termin. Bei besonderen Anlässen sind wir dann auch eingeladen als Wasserbetriebe, wenn Stellungnahmen benötigt werden. Aber sonst ist bei der Regelkommunikation die Senatsverwaltung immer vertreten. Wir haben unsere Termine mit der Senatsverwaltung zum Beispiel im Rahmen des Masterplans Wasser, wo wir uns austauschen und die Zusammenarbeit organisieren.

In der Lausitz wird gerade diskutiert, ob der noch aktive Tagebau Welzow künftig auch geflutet werden sollte, was Folgen für den Wasserhaushalt haben wird. Sprechen wir bei solchen Entscheidungen mit?

In der Regel gibt es ein Planfeststellungsverfahren, wo eine Beteiligung stattfindet. Wir werden im besten Fall aufgefordert, dazu Stellung zu nehmen als Träger öffentlicher Belange. Aber manchmal ist es so, dass wir es nur indirekt erfahren, zum Beispiel weil uns eine Umweltgruppe anruft. Das könnte noch ein bisschen besser laufen, wenn man da tiefer drinsitzen würde, könnte man ja sich noch besser abstimmen.

Durch die Grundwasserabsenkung in den Tagebauen haben wir das Problem, dass der Boden belüftet wird, der sonst immer unter Wasser stand. Eisen und schwefelhaltige Mineralien z.B. Pyrite kommen so in Kontakt mit Luftsauerstoff, verwittern und werden im Wasser gelöst. Auf der einen Seite tritt dadurch vor Ort der Eisenschlamm auf, der die Spree rot färbt und der sich vor Ort absetzt. Ohne das Eisen kann der Schwefel nicht wieder gebunden werden. In Form von Sulfat kommt er bis zu uns nach Berlin. In der Zeit 2014/15 haben wir einen sehr starken Anstieg festgestellt und die Alarmglocken läuteten. Nach mehreren Staatssekretärsgesprächen und einigen Aktionen, um das Problem zu begrenzen, gingen nach 2015 die Sulfatgehalte wieder so weit zurück, so dass wir jetzt momentan stabile Verhältnisse haben und die Grenzwerte im Wasserwerk Friedrichshagen sicher einhalten können.

Ich kann mir vorstellen, dass es sehr unterschiedliche Interessen gibt zwischen uns und zum Beispiel Brandenburg. Der Spreewald ist eine absolute Touristenregion: Wenn dort perspektivisch das Wasser fehlt, wäre das doch auch eine Katastrophe?

Eigentlich sind die Interessen gar nicht so unterschiedlich. In Brandenburg gibt es zum Beispiel das Wasserwerk Briesen, das Wasser aus der Spree zur Grundwasseranreicherung nutzt und damit die Versorgung von Frankfurt (Oder) sicherstellt. Die haben das gleiche Ziel wie wir in Friedrichshagen, dass der Sulfatgehalt begrenzt bleibt und niedriger wird und auch noch Wasser in der Spree ist.

Natürlich könnte man es als Konkurrenzsituation betrachten: Im Spreewald verdunstet viel Wasser aufgrund des Gewässernetzes und auch die Landwirtschaft benötigt ständig Nachschub. Dann fließen sieben Kubikmeter in den Spreewald hinein und hinten raus kommt nur noch einer. Aber das war immer schon so gewesen, damit kommen wir zurecht.

Reagieren wir insgesamt rechtzeitig auf die bevorstehenden Herausforderungen wie den Klimawandel?

Wir haben diese Themen immer im Blick gehabt. Wir müssen nur sehen, ob wir schnell genug sind, unsere Maßnahmen auch umzusetzen. Überraschender wäre sicherlich ein vorzeitiger Ausstieg aus der Braunkohle und die damit einhergehenden Rückgänge. Aber das ist auch ein Prozess, der schrittweise und dosiert erfolgt. Die Förderung von Grundwasser kann nicht von jetzt auf gleich beendet werden, weil es sonst Rutschungen in den Tagebaurestlöchern und ähnliches geben könnte. Wir dürfen trotzdem nicht zu lange damit warten, unsere Klärwerke mit besseren Schutzvorkehrungen zur Spurenstoffentfernung per Ozonung und Filtration nachzurüsten.

Was gäbe es noch für Möglichkeiten, unseren Wasserhaushalt zu stützen?

Durch die stärkere Förderung in Trockenphasen werden die Brunnen stärker belastet und sie altern schneller. Deswegen müssen wir noch mehr Brunnen erneuern. Das ist natürlich eine Herausforderung für die Kolleg:innen im Brunnenbau. Eine weitere Strategie im Rahmen des Masterplans ist außerdem, dass wir den Fokus möglichst stark auf die Uferfiltration und Grundwasseranreicherung setzen. Mit der Grundwasseranreicherung können wir aktiv die Neubildung des Grundwassers stützen.

Stichwort Schwammstadt?

Ja, genau. Durch das Prinzip der Schwammstadt wollen wir den Rückgang der Grundwasserneubildung kompensieren, indem man die Straßen- oder Dachentwässerung nicht mehr über einen Regenkanal ableitet, sondern über Mulden wieder den Grundwasserleiter vor Ort anreichert. Und eine weitere Maßnahme, die wir sehr positiv sehen und auch fördern, ist der Waldumbau. Die Berliner Forsten haben viele Wälder, die teilweise noch dominiert werden von Kiefern. Die Folge ist eine höhere Verdunstung auch im Winterhalbjahr. Wenn man jetzt mehr auf Mischwälder umrüstet, hätte man damit eine verbesserte Grundwasserneubildung. Unsere Wasserwerke sind in waldreichen Gebieten, der Umbau hat also schon einen gewissen Einfluss und ein paar Prozent können wir damit rausholen.

Und was halten Sie von diesen Ideen, die durch die Presse geistern, zum Beispiel über lange Rohrleitungen Wasser nach Berlin zu fördern?

Das wäre der Offenbarungseid, wenn wir in diese Situation kommen würden.

Ich habe es eher so verstanden, dass man sagt: Okay, man kann es nicht auf alle Ewigkeiten ausschließen. Und deshalb will man jetzt als Planspiel schon mal überlegen, was man tun müsste, um so eine Fernwasserleitung als Projekt umzusetzen. Wir gehen aber nicht davon aus, dass es in den nächsten 30 Jahren notwendig werden wird.

Solche Leitungen spielen aber durchaus eine Rolle beim Thema Braunkohleausstieg, um den Rückgang des Wasserangebots in der Spree auszugleichen. Dafür gibt es Möglichkeiten, Wasser aus anderen Einzugsgebieten in das Spree-System einzubringen. Das wird bereits aktuell schon gemacht: Aus der Neiße wird Wasser übergeleitet in die Spree, um die Tagebaurestlöcher weiter füllen zu können. Ähnlich könnte man auch die Oder nutzen zur Überleitung in die Spree. Wenn allerdings die Wasserqualität in der Oder so ist wie im letzten Jahr war und die Fische wegsterben, müssen die internationalen Beziehungen erst verbessert werden.

Die andere Idee ist noch eine Überleitung aus der Elbe. In den wasserreichen Wintermonaten könnte aus der Elbe Wasser übergeleitet werden in den Oberlauf der Spree, um damit die Speicher in der Spree zu stützen. Es gibt viele Speicher aufgrund der Tagebaurestlöcher. Diese könnte man füllen und für die Trockenperioden im Sommer nutzen.